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Hintergrund


Melissa Lucashenko, 1999

Kurzautobiographie
Ich wurde im Süden Brisbanes geboren und bin dort auch als jüngstes von sieben Geschwistern (und als einziges Mädchen) aufgewachsen. Mit sechzehn verließ ich die Schule, um ein Landwirtschafts-College zu besuchen; eine hervorragende Idee, der ich zwei Wochen lang folgte. Dann arbeitete ich in Bars und Cafés und auf Baustellen als Malerin. Später lehrte ich Karate, und fand schließlich meinen Weg in die Griffith Universität, wo ich Politik und Wirtschaft studierte. 1989 verließ ich die Universität, um für die damalige Regierung zu arbeiten. Auch dies hielt nur wenig länger an als die Landwirtschafts-College-Karriere. Ich kehrte nach Brisbene zurück und wand mich als Folge eines spontanem Einfall dem Schreiben zu.

In welchem Alter haben Sie begonnen zu schreiben und was?
Ich war von Büchern und dem Schreiben besessen, seit ich vier Jahre alt war. Ich begann mit ungefähr achtzehn Jahren, glaube ich, schreckliche Geschichten zu schreiben.

Vollzeit- oder Teilzeit-Autor
Vollzeit-Autor (Mutter und Aktivistin in meiner ha!ha! Freizeit).

Veröffentlichungen
"Aussen eckig – innen rund" ("Steam Pigs"), University of Queensland Press 1997 "Killing Darcey" (Zielgruppe: Junge Erwachsene) 1998 "Hard Yards" (Zielgruppe: Erwachsene) erscheint im September 1999 plus einige akademische Artikel über australische Angelegenheiten.

Karrierehöhepunkte bislang
In der Auswahlliste zum NSW (Neusüdwaliser) Premier’s Literary Award 1999.

Preise
1998 Kibble Award für Frauenliteratur für "Aussen eckig – innen rund"

1999 Talking Book Award für Junge Erwachsenenliteratur 1999 für Killing Darcey.

Zukunftspläne
Eine Indonesienreise Ende 1999; Bahasa-Indonesisch und mehr über den Unabhängignkeitskampf der Irian Jaya lernen; am Schreiben bleiben; die erste weibliche Torhüterin werden, die das entscheidende Tor für Tottenham Hotspur in einem FA Cup Finale schießt.

Anderes
Ich bin eine Murri Frau mit Bundjalung/Yugambeth-Abstammung und Verwandten unter den Attente und Waanyi Völkern.

 

Wer Träumt - Wessen Geschichte?
Melissa Lucashenko

Conference Proceeding CBCA 1998

Als die Herren unserer Industriegesellschaft zum ersten Mal in dieses Land kamen, kamen sie in Ketten. Sie trugen die eisernen Ketten von Häftlingen und die geistigen Ketten der westlichen Gesellschaft, die ihnen sagten, daß manche Menschen durch die Zugehörigkeit zu ihrer Rasse etwas "besser" als andere seien. Ihre Religion sagte ihnen - und auch das sind gedankliche Ketten -, daß Armut ein Verbrechen sei, mit welchem Gott die Unmoralischen bestrafe. Sie folgerten daraus, daß Land besessen, gekauft und verkauft, und ja, sogar gestohlen und mit Gewalt erobert werden könne. Diese Ketten, die ihre Menschlichkeit einschränkten, halten noch heute eine große Mehrheit der Australier in Gefangenschaft.

Als diese Pioniere ankamen, da widersetzten sich ihre Führer den Britischen Autoritäten, die angeordnet hatten, nach ein paar ehrenhaften Jahren des Friedens mit den Aboriginals zu verhandeln. Stattdessen beuteten sie die Ureinwohner aus. 1788 glaubten die "whitefellas" (weisse Menschen), sie hätten den Aboriginals für immer die Eigenständigkeit genommen. Zwar verloren wir unsere Unabhängigkeit und wurden nominell der Britischen Krone untergeordnet, aber wir behielten unsere Geschichten, unsere Lieder und einen Großteil unserer Kultur. Einige Geschichten waren uralt, und andere, neue Geschichten entstanden durch die Invasion.

Über Generationen hinweg wurden Kinder geraubt. Meine Urgrossmutter wurde im Alter von acht Jahren geraubt. Ich habe Freunde, jünger als ich, die gleich nach ihrer Geburt dem Kinderraub zum Opfer fielen. Ihr nahmt uns unsere Schwestern, unsere Brüder, unsere Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Aber wir behielten unsere Geschichten. Eine reiche, ganz eigene Folklore entstand in den Missionsstationen und Lagern, verwoben mit Geschichten, die in diesem Land von Anfang an existierten.

Die Sprachen unserer Völker waren in den Missionsstationen verboten. Diejenigen, die sich dem nicht fügten, wurden hart bestraft; wir durften uns nicht versammeln, durften nicht singen. Der Teufel - so sagten sie - war in unseren Geschichten. Die geketteten Menschen kamen, um uns zu sagen, daß unsere Spiritualität falsch sei, und daß der weiße Gott uns retten könne. Aber wir behielten unsere Geschichten, flüsterten sie nachts einander zu, versteckten sie im Busch und retteten sie.

Nicht alle der geketteten Menschen versuchten, unsere Kultur zu zerstören, jedoch die meisten sahen in uns Wilde und Götzenanbeter.

Ich möchte ihnen von einigen, wenigen Geschichten berichten.

Boori Pryor ist ein Murri, Autor und Geschichtenerzähler aus Northern Queensland und in seinem Buch "Maybe Tomorrow" erzählt Boori über einen Verwandten, der bis zu seinem Tod ein starker Alkoholiker war. Warum, fragte er, hat dieser Kerl getrunken?

Dieser Mann wurde in jungen Jahren von seiner Mutter getrennt, und das allein kann Grund genug sein, jemanden zum Trinken zu treiben, glaube ich. Dieser junge Mann berichtete, daß die Regierungsbeamten, als sie - nicht etwa 1788, nicht 1888, aber spät im zwanzigsten Jahrhundert - kamen, um ihn mitzunehmen, vor seinen Augen seine Mutter vergewaltigten. Von diesem Tag an, schwor sich das Aboriginal Kind, würde es, sobald es erwachsen sein würde und sich die Gelegenheit bot, jede weiße Person umbringen. Aber auch das war nicht der Grund, weshalb er trank. Als Kind wurde er zu Weißen gebracht, gute Menschen, die sich um ihn kümmerten, und sich um ihn sorgten. Wen sollte er nun hassen? Wen sollte er töten wollen?

Also trank er, unterdrückte so Haß und Wut, und nahm sich selbst das Leben.

Die zweite Geschichte handelt von einem jungen Aboriginal in Neusüdwales. Dieser junge Mann wurde zum ersten Mal mit ungefähr zehn Jahren, glaube ich, eingesperrt, weil er ein Fahrrad gestohlen hatte. Von da an ging es weiter, er wurde eingesperrt, weil er der Polizei Ärger machte und wegen trivialen Verbrechen – keine ungewöhnliche Geschichte. Schließlich endete er in einer Statistik unter "Schwarze Tode in Königlicher Haft". Das Rechtssystem des industriellen Australiens wurde zu viel für ihn. Es gab kein Fliehen, und er zog den Tod dem Leben im weißen Gefängnis vor.

Malcom Smith beendete sein Leben, indem er einen Künstlerpinsel durch sein eigenes Auge bis in sein Gehirn rammte.

Zur Zeit wird an vielen Orten über den Raub der Aboriginal-Kinder im Rahmen der Assimilationspolitik gesprochen. Immer noch glauben viele Nicht-Aboriginals, daß diese Kinder vor schrecklicher Degradierung und vor Missbrauch bewahrt wurden, und in schönen, glücklichen, sauberen Häusern mit besseren Zukunftsaussichten untergebracht wurden. Nun, dies mag für einen Teil der entführten Kindern der Wahrheit entsprechen, aber meine eigene Urgrossmutter wurde verschleppt und versklavt. Onkel Noel Tovey wurde fünfjährig einem vorgestraften Pädophilen gegeben. Er war nicht der einzige der geraubten Generation, der körperlich und oder sexuell missbraucht wurde. Tante Lowitja O’Donaghue traf nach vielen Jahren weißer Erziehung und weißen "Erfolges" ihre Mutter wieder und konnte nicht mit ihr sprechen, da sie ihre Muttersprache nicht mehr verstand und ihre Mutter kein Englisch sprechen konnte.

Dies sind einige unserer Geschichten. Sie sind nicht schön. Ihre Geschichte, unsere Geschichte, ist nicht schön. Daher fordern uns weiße Akademiker und Autoren auf, diese Geschichten zu erzählen. Ja, sie müssen erählt werden, auch wenn sie unangenehme Gefühle aufkommen lassen, Scham- oder Schuldgefühle. Sie sind eine Schande, häßliche Teile der Geschichte. Die Wunden können und werden heilen.

Anmerkung der Autorin:
Dieser Text, der Dinge enthält, die für manche Weisse unangenehm sind, wurde von den Zuhörern in Adelaide sehr gut angenommen. Solche Reaktionen sind enorm ermutigend, und sind einer der Gründe weshalb ich öffentlich spreche und schreibe. 

 

Melissa Lucashenko
Aboriginal Englisch –Zwei Welten treffen sich

Bevor die Weißen in Australien ankamen, lebten bis zu sechshundert Nationen oder Stämme auf dem Kontinent. Diese Nationen besaßen ihre eigenen Aboriginal-Sprachen die in zwei Hauptgruppen unterteilt waren.

Heute gibt es immer noch im entlegenen Norden, in Zentral- und West-Australien viele Gruppen von Aboriginals, die kein Englisch sprechen können; dafür aber fünf bis sechs Aboriginal-Sprachen, und häufig auch "Kriol" – eine Art Englisch, das von normalen Englisch-Sprechenden nicht verstanden werden kann. Beispielsweise, wenn man im Englischen "Er war verwirrt."sagt, hieße es in Kriol "Er hat Fragezeichen ausgesehen." ("e bin luk qüstionmuk")

Im heutigen Südostaustralien gibt es nur eine wirklich lebendige Aboriginal-Sprache: Bundjalung, eine eigene Art Englisch, das in Nord-New South Wales von Tausenden Menschen gesprochen wird.

Während Sprachen in ihrer Gesamtheit im Südosten Australiens nicht überlebt haben, kennen fast alle Aboriginals in diesen Gebieten ein paar Begriffe ihrer ehemaligen Sprachen. Wenn diese Übrigbleibsel mit Standard-Englisch und Worten aus dem Kriol gemixt werden, ergibt sich daraus "Aboriginal Englisch". Das ist die Sprache, die heute im täglichen Leben von Aboriginals gesprochen wird, und sie ist im großen und ganzen ähnlich in ganz Südaustralien. Die stärksten Parallelen können in der Gefängnissprache gefunden werden. Aboriginal-Englisch wird in den Städten als Identitätsmerkmal benutzt, und um - ohne verstanden zu werden - in Gegenwart von Weißen zu kommunizieren. Es unterscheidet sich grammatikalisch vom Standard-Englisch, und beinhaltet andere oder veränderte Worte.

Melissa Lucashenko schreibt in Standard- und in Aboriginal-Englisch; sie fügt Worte aus dem Bundjalung (ihrem eigenen Stamm), und auch aus anderen australischen Sprachen ihrer Region (Queensland) dazu.

Was ein weßer Autor mit: "The youngsters saw that they were being teased by the policeman, and ran off." ausdrückt, würde von Melissa wie folgt beschrieben: "Them kids knew that booliman was just gammon, and they bin take off eh."

Aboriginal-Englisch verleiht ihren Texten Lebendigkeit und Unmittelbarkeit. Melissa sagt, daß sie ohne Aboriginal-Englisch unfähig wäre, das heutige Leben der Aboriginals in den Städten glaubwürdig darstellen zu können. Sprache und Kultur sind eng miteinander verbunden, und die Existenz von Aboriginal-Englisch ist ein Beweis dafür, daß Aboriginal-Kulturen nicht ausgestorben sind.

"Auch wenn wir Nike (-Turnschuhe) tragen, Fernsehen schauen und auf die Schulen und Universitäten der Weißen gehen, benutzen wir weiterhin unsere eigene Umgangssprache."

Anne Teuter

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