Wer Träumt - Wessen
Geschichte?
Melissa Lucashenko
Conference Proceeding CBCA 1998
Als die Herren unserer
Industriegesellschaft zum ersten Mal in dieses Land kamen, kamen sie in Ketten. Sie trugen
die eisernen Ketten von Häftlingen und die geistigen Ketten der westlichen Gesellschaft,
die ihnen sagten, daß manche Menschen durch die Zugehörigkeit zu ihrer Rasse etwas
"besser" als andere seien. Ihre Religion sagte ihnen - und auch das sind
gedankliche Ketten -, daß Armut ein Verbrechen sei, mit welchem Gott die Unmoralischen
bestrafe. Sie folgerten daraus, daß Land besessen, gekauft und verkauft, und ja, sogar
gestohlen und mit Gewalt erobert werden könne. Diese Ketten, die ihre Menschlichkeit
einschränkten, halten noch heute eine große Mehrheit der Australier in Gefangenschaft.
Als diese Pioniere ankamen, da
widersetzten sich ihre Führer den Britischen Autoritäten, die angeordnet hatten, nach
ein paar ehrenhaften Jahren des Friedens mit den Aboriginals zu verhandeln. Stattdessen
beuteten sie die Ureinwohner aus. 1788 glaubten die "whitefellas" (weisse
Menschen), sie hätten den Aboriginals für immer die Eigenständigkeit genommen. Zwar
verloren wir unsere Unabhängigkeit und wurden nominell der Britischen Krone
untergeordnet, aber wir behielten unsere Geschichten, unsere Lieder und einen Großteil
unserer Kultur. Einige Geschichten waren uralt, und andere, neue Geschichten entstanden
durch die Invasion.
Über Generationen hinweg wurden Kinder
geraubt. Meine Urgrossmutter wurde im Alter von acht Jahren geraubt. Ich habe Freunde,
jünger als ich, die gleich nach ihrer Geburt dem Kinderraub zum Opfer fielen. Ihr nahmt
uns unsere Schwestern, unsere Brüder, unsere Mütter, Väter, Großmütter, Großväter,
Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Aber wir behielten unsere Geschichten. Eine reiche,
ganz eigene Folklore entstand in den Missionsstationen und Lagern, verwoben mit
Geschichten, die in diesem Land von Anfang an existierten.
Die Sprachen unserer Völker waren in den
Missionsstationen verboten. Diejenigen, die sich dem nicht fügten, wurden hart bestraft;
wir durften uns nicht versammeln, durften nicht singen. Der Teufel - so sagten sie - war
in unseren Geschichten. Die geketteten Menschen kamen, um uns zu sagen, daß unsere
Spiritualität falsch sei, und daß der weiße Gott uns retten könne. Aber wir behielten
unsere Geschichten, flüsterten sie nachts einander zu, versteckten sie im Busch und
retteten sie.
Nicht alle der geketteten Menschen
versuchten, unsere Kultur zu zerstören, jedoch die meisten sahen in uns Wilde und
Götzenanbeter.
Ich möchte ihnen von einigen, wenigen Geschichten
berichten.
Boori Pryor ist ein Murri, Autor und
Geschichtenerzähler aus Northern Queensland und in seinem Buch "Maybe Tomorrow"
erzählt Boori über einen Verwandten, der bis zu seinem Tod ein starker Alkoholiker war.
Warum, fragte er, hat dieser Kerl getrunken?
Dieser Mann wurde in jungen Jahren von
seiner Mutter getrennt, und das allein kann Grund genug sein, jemanden zum Trinken zu
treiben, glaube ich. Dieser junge Mann berichtete, daß die Regierungsbeamten, als sie -
nicht etwa 1788, nicht 1888, aber spät im zwanzigsten Jahrhundert - kamen, um ihn
mitzunehmen, vor seinen Augen seine Mutter vergewaltigten. Von diesem Tag an, schwor sich
das Aboriginal Kind, würde es, sobald es erwachsen sein würde und sich die Gelegenheit
bot, jede weiße Person umbringen. Aber auch das war nicht der Grund, weshalb er trank.
Als Kind wurde er zu Weißen gebracht, gute Menschen, die sich um ihn kümmerten, und sich
um ihn sorgten. Wen sollte er nun hassen? Wen sollte er töten wollen?
Also trank er, unterdrückte so Haß und
Wut, und nahm sich selbst das Leben.
Die zweite Geschichte handelt von einem
jungen Aboriginal in Neusüdwales. Dieser junge Mann wurde zum ersten Mal mit ungefähr
zehn Jahren, glaube ich, eingesperrt, weil er ein Fahrrad gestohlen hatte. Von da an ging
es weiter, er wurde eingesperrt, weil er der Polizei Ärger machte und wegen trivialen
Verbrechen keine ungewöhnliche Geschichte. Schließlich endete er in einer
Statistik unter "Schwarze Tode in Königlicher Haft". Das Rechtssystem des
industriellen Australiens wurde zu viel für ihn. Es gab kein Fliehen, und er zog den Tod
dem Leben im weißen Gefängnis vor.
Malcom Smith beendete sein Leben, indem er
einen Künstlerpinsel durch sein eigenes Auge bis in sein Gehirn rammte.
Zur Zeit wird an
vielen Orten über den Raub der Aboriginal-Kinder im Rahmen der Assimilationspolitik gesprochen. Immer noch glauben viele
Nicht-Aboriginals, daß diese Kinder vor schrecklicher Degradierung und vor Missbrauch
bewahrt wurden, und in schönen, glücklichen, sauberen Häusern mit besseren
Zukunftsaussichten untergebracht wurden. Nun, dies mag für einen Teil der entführten
Kindern der Wahrheit entsprechen, aber meine eigene Urgrossmutter wurde verschleppt und
versklavt. Onkel Noel Tovey wurde fünfjährig einem vorgestraften Pädophilen gegeben. Er
war nicht der einzige der geraubten Generation, der körperlich und oder sexuell
missbraucht wurde. Tante Lowitja ODonaghue traf nach vielen Jahren weißer Erziehung
und weißen "Erfolges" ihre Mutter wieder und konnte nicht mit ihr sprechen, da
sie ihre Muttersprache nicht mehr verstand und ihre Mutter kein Englisch sprechen konnte.
Dies sind einige unserer Geschichten. Sie
sind nicht schön. Ihre Geschichte, unsere Geschichte, ist nicht schön. Daher fordern uns
weiße Akademiker und Autoren auf, diese Geschichten zu erzählen. Ja, sie müssen erählt
werden, auch wenn sie unangenehme Gefühle aufkommen lassen, Scham- oder Schuldgefühle.
Sie sind eine Schande, häßliche Teile der Geschichte. Die Wunden können und werden
heilen.
Anmerkung der Autorin:
Dieser Text, der Dinge enthält, die für manche Weisse unangenehm sind, wurde von
den Zuhörern in Adelaide sehr gut angenommen. Solche Reaktionen sind enorm ermutigend,
und sind einer der Gründe weshalb ich öffentlich spreche und schreibe.
Melissa Lucashenko
Aboriginal Englisch Zwei Welten treffen sich
Bevor die Weißen in Australien
ankamen, lebten bis zu sechshundert Nationen oder Stämme auf dem Kontinent. Diese
Nationen besaßen ihre eigenen Aboriginal-Sprachen die in zwei Hauptgruppen unterteilt
waren.
Heute gibt es immer noch im entlegenen
Norden, in Zentral- und West-Australien viele Gruppen von Aboriginals, die kein Englisch
sprechen können; dafür aber fünf bis sechs Aboriginal-Sprachen, und häufig auch
"Kriol" eine Art Englisch, das von normalen Englisch-Sprechenden nicht
verstanden werden kann. Beispielsweise, wenn man im Englischen "Er war
verwirrt."sagt, hieße es in Kriol "Er hat Fragezeichen ausgesehen."
("e bin luk qüstionmuk")
Im heutigen Südostaustralien gibt es nur
eine wirklich lebendige Aboriginal-Sprache: Bundjalung, eine eigene Art Englisch, das in
Nord-New South Wales von Tausenden Menschen gesprochen wird.
Während Sprachen in ihrer Gesamtheit im
Südosten Australiens nicht überlebt haben, kennen fast alle Aboriginals in diesen
Gebieten ein paar Begriffe ihrer ehemaligen Sprachen. Wenn diese Übrigbleibsel mit
Standard-Englisch und Worten aus dem Kriol gemixt werden, ergibt sich daraus
"Aboriginal Englisch". Das ist die Sprache, die heute im täglichen Leben von
Aboriginals gesprochen wird, und sie ist im großen und ganzen ähnlich in ganz
Südaustralien. Die stärksten Parallelen können in der Gefängnissprache gefunden
werden. Aboriginal-Englisch wird in den Städten als Identitätsmerkmal benutzt, und um -
ohne verstanden zu werden - in Gegenwart von Weißen zu kommunizieren. Es unterscheidet
sich grammatikalisch vom Standard-Englisch, und beinhaltet andere oder veränderte Worte.
Melissa Lucashenko schreibt in Standard-
und in Aboriginal-Englisch; sie fügt Worte aus dem Bundjalung (ihrem eigenen Stamm), und
auch aus anderen australischen Sprachen ihrer Region (Queensland) dazu.
Was ein weßer Autor mit: "The
youngsters saw that they were being teased by the policeman, and ran off."
ausdrückt, würde von Melissa wie folgt beschrieben: "Them kids knew that booliman
was just gammon, and they bin take off eh."
Aboriginal-Englisch verleiht ihren Texten
Lebendigkeit und Unmittelbarkeit. Melissa sagt, daß sie ohne Aboriginal-Englisch unfähig
wäre, das heutige Leben der Aboriginals in den Städten glaubwürdig darstellen zu
können. Sprache und Kultur sind eng miteinander verbunden, und die Existenz von
Aboriginal-Englisch ist ein Beweis dafür, daß Aboriginal-Kulturen nicht ausgestorben
sind.
"Auch wenn wir Nike (-Turnschuhe)
tragen, Fernsehen schauen und auf die Schulen und Universitäten der Weißen gehen,
benutzen wir weiterhin unsere eigene Umgangssprache."
Anne Teuter |