Leseprobe
Gish Jen Mona
im gelobten Land
Was ist mit Seth, der plötzlich nur noch
Rollkragenpullis trägt?
»Willst du nicht mal irgendwas machen?«,fragt Mona.
Keine Antwort. Mr. Authentisch will er sein - aber plötzlich hat er ein öffentliches und
ein privates Gesicht. Denn so ist er zur Zeit: widerspenstig, sarkastisch, launisch und -
und das ist am irritierendsten - nicht greifbar.
Warum also befindet Mona, daß die Zeit gekommen ist, mit ihm zu schlafen?
Später denkt sie folgendes: Es gibt Augenblicke im Leben, da läßt der Schwung nach, und
statt dessen melden sich sumpfige Grübeleien. Es ist, als wäre man aus der Gegenwart
herausgeholt worden - als würde man hinausgeschwemmt in die eigene Zukunft. Und dann, aus
einer Art Nostalgie heraus, denkt man: Ja. Okay. Der Zeitpunkt ist gekommen.
Mit dem Ergebnis, daß Seth mit dem schwarzen Rollkragenpulli ihre Motive hinterfragt.
»Was hat dich den plötzlich gepackt? Die große Leidenschaft?«
»Sehr komisch«, sagt Mona.
»Tu bitte nichts, wofür du mir dann später Vorwürfe machen könntest.«
»Ich habe gedacht, du hältst es für eine soziale Errungenschaft, wenn man das Maß an
Geilheit in der Welt reduziert.«
»Vorausgesetzt, daß es zwischen zwei Erwachsenen geschieht, die beide einverstanden
sind.«
Mona sagt, sie ist erwachsen und sie ist einverstanden.
»Okay«, sagt er schließlich. »Dann wollen wir mal die große Leidenschaft ausleben.
Wenn du darauf bestehst.«
Mona ist so sauer, daß sie sich fast weigert, mit ihm zu der neuen, so gut wie
kostenlosen Beratungsstelle zu gehen. Aber sie gehen hin und überleben sogar die
Warterei. Was für eine Art von Defloration ist das? denkt Mona in der Apotheke - und
abends denkt sie das wieder, als sie untätig im Wigwam liegen. Müßten sie nicht
eigentlich wie berauscht sein - wenn schon nicht von Liebe und von der Begegnung ihrer
unsterblichen Seelen, so doch wenigstens vom Aufruhr in ihrem Hormonhaushalt?
»Ich möchte mit Pauken und Trompeten das Ende der Unschuld einläuten«, sagt sie zu
Seth.
»Ja, gut«, sagt er.
Rauschende Fluten. Pochende Herzen. Lust der Sinne.
»Wir müssen einen ganzen Pillenzyklus abwarten«, sagt Seth. »Wenn du dich erinnerst.
Außerdem reden wir zuviel.«
»Führt das zu einem Lustverlustsyndrom?«
Glücklicherweise melden sich bald wieder die körperlichen Bedürfnisse. Genau an dem
Tag, als die Frist abgelaufen ist, befindet sich sein Penis in ihr. Mona wundert sich,
daß alles so wenig spektakulär ist. Nach all den Diagrammen, die sie studiert hat, hat
sie so halb erwartet, daß sie sich zuerst in irgend welche Zeichnungen verwandeln würden
und dann in hautfarbene Querschnitte wie die armen Wesen in den Broschüren. Im wirklichen
Leben sieht sie den Himmel, der sich in Seths dunklen Augen spiegelt; eine wunderbare
Kombination! Seine Augen sind die ganze Welt - nein, mehr: Sie sind eine Zwillingswelt. Er
legt den Kopf in den Nacken. Sie ist so viel kleiner als er! Das ist ihr noch nie so
aufgefallen. Aber Lende an Lende ist es nicht mehr zu leugnen. Ihr Kinn ruht auf seiner
behaarten Brust, auf gleicher Höhe mit den Warzen. Klar, sie liegt oben - bei Seth läuft
nichts nach Vorschrift. Aber sie empfindet mehr, als sie sieht. Und plötzlich denkt sie,
daß ihr das keiner gesagt hat - keiner hat ihr gesagt, daß es ist, als würde man ein
ganz neues Sinnesorgan bei sich entdecken.
Ist das der große Moment? Ohne jede Qual; sie hat gar nicht gewußt, daß sie so feucht
sein kann. Sie hat nicht gewußt, daß sie sich so ausgefüllt fühlen kann. Sie
umschließt ihn enger und ist erstaunt, daß er diesen Gruß spürt. Er antwortet mit
einem leisen Stoß. Sie lachen, verschlingen die Beine ineinander, schaukeln.
»Nennt man das bumsen?« sagt Mona.
»Halt die Klappe«, sagt Seth.
»Ja«, sagt Mona
»Halt die Klappe«, sagt Seth wieder, und diesmal bringt er sie zum Schweigen, indem er
sie auf den Mund küßt. Und dann schaukeln sie noch ein bißchen, bis sie nur noch einen
Wunsch haben, nämlich nochmal, nochmal, nochmal.
»Spürst du den Luftzug?« sagt Seth. »In der Zeltwand ist ein Loch.«
»Halt die Klappe«, sagt Mona.
Und wieder versinken sie ineinander, pulsierend.
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